Gänsweins Medienoffensive irritiert und offenbart Regelungsbedarf

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Ein 336-Seiten-Buch über seine Zeit mit Benedikt XVI. und eine Interviewoffensive bei kirchenpolitisch verlässlichen – ergo wohlwollenden – Stichwortgebern: Erzbischof Georg Gänswein hat nach dem Tod des früheren Papstes keine Zeit verschwendet und den Kampf um die Deutungshoheit über dessen Lebenswerk und kirchenpolitisches Erbe unmittelbar eröffnet. Dabei war der langjährige Privatsekretär Benedikts in den vergangenen Tagen erkennbar darum bemüht, mögliche Kritik am Verstorbenen von vornherein zu unterbinden und – bei allen Gemeinsamkeiten zwischen Emeritus und Papst – auf Differenzen zwischen Benedikt (und ihm selbst) und Franziskus hinzuweisen.
Vor allem Gänsweins Aussagen zu seiner – trotz Benedikts Intervention – erfolgten Degradierung durch Franziskus sowie über den "Schmerz im Herzen", den der päpstliche Erlass zur Alten Messe beim Emeritus ausgelöst habe, irritierten und wirkten angesichts ihrer kirchenpolitischen Brisanz mitten in der Phase der Trauer um den Verstorbenen völlig deplatziert. Auch, weil Benedikt dadurch mindestens in den Augen konservativer Ultras weiterhin als Antipode des amtierenden Papstes erscheint – ein Problem, dass schon während der gemeinsamen Jahre von Benedikt und Franziskus im Vatikan immer wieder zu Spannungen und Spekulationen über einen "Gegenpapst" im Kloster Mater Ecclesiae geführt hatte.
Gänswein geht es mit seiner Medienoffensive erkennbar darum, Benedikts Erbe – das aufgrund seiner langjährigen Rolle als Privatsekretär auch sein Erbe ist – zu bewahren und vor jeglicher kritischer Beurteilung zu schützen. Zugleich bedient er damit die nach wie vor große Fangemeinde des verstorbenen Papstes, die wiederum dem amtierenden Pontifex überwiegend kritisch gegenübersteht. Man kann nur hoffen, dass die entsprechenden Kreise den toten Benedikt jetzt nicht weiter für ihre kirchenpolitischen Interessen missbrauchen.
Ansonsten gilt: Insbesondere Gänsweins Buch mag für diejenigen, die gerne einen Blick hinter die vatikanischen Mauern werfen, von Interesse sein. Für die historische Beurteilung von Benedikts Wirken dürfte es dagegen wenig Nutzen haben, denn Gänswein ist bei diesem Thema selbst Partei und deshalb nicht objektiv. Ein sachgerechtes Urteil über das Lebenswerk und das kirchenpolitische Erbe des Verstorbenen kann erst die wissenschaftliche Forschung fällen. Gänsweins Versuch, diesbezüglich die Deutungshoheit zu erlangen, ist deshalb untauglich und mit Blick auf mögliche Gehorsams- und Verschwiegenheitspflichten eines päpstlichen Privatsekretärs auch höchst fragwürdig. Sollte Franziskus das "Amt" des Emeritus nach den mitunter problematischen Erfahrungen der vergangenen Jahre offiziell regeln, sollte er in diesem Kontext auch die Pflichten von deren Privatsekretären genau definieren.
Der Autor
Steffen Zimmermann ist Redakteur im Korrespondentenbüro von katholisch.de in Berlin.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.