Standpunkt

Reformen in der Kirche dürfen reifen, aber nicht verfaulen

Veröffentlicht am 16.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Ricarda Menne – Lesedauer: 

Bonn ‐ Erntereife Obstbäume werden zwar nicht abgesägt, aber durchaus geschüttelt. Wenn man mit dem Pflücken zu lange wartet, verfault das Obst am Baum. Ähnlich ist es mit den Reformen in der katholischen Kirche, schreibt Ricarda Menne.

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Der Synodale Weg hat innerhalb wie außerhalb Deutschlands polarisiert – oder anders gesagt: Er hat längst bestehende Differenzen und unterschiedliche Positionen offen(er) zutage treten lassen. Ebenso unterschiedlich fällt seine Beurteilung aus: Der Würzburger Bischof Franz Jung gibt sich vorsichtig optimistisch: "lieber kleine Schritte als keine". Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop spricht vom "katholischen Elend, dass kein Rückschritt heute schon ein Fortschritt ist" und Christian Geyer fragt gar in der FAZ, ob das, was da "als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet" sei.

In einem kleinen Bändchen des Jesuiten Willi Lambert über Exerzitien fand ich kürzlich den denkwürdigen Satz, "Man soll Entscheidungen nicht fällen wie einen Baum mit der Axt, sondern sie reifen lassen; dann fallen sie fast von selber, und eine leichte Drehung kann beim Pflücken genügen." Um das Bild zu ergänzen: Erntereife Obstbäume werden zwar nicht abgesägt, aber durchaus geschüttelt. Wenn man mit dem Pflücken zu lange wartet, verfault das Obst am Baum oder matscht als Fallobst ins Gras, kann es allenfalls noch zu Saft verarbeitet oder eingeweckt werden. Wertminderung, B-Ware. Im ungünstigsten Fall machen sich die Tiere darüber her. Deshalb käme auch kein Obstbauer oder Kleingärtner auf die Idee, mit der Ernte erst dann anzufangen, wenn alle Äpfel denselben Reifegrad erreicht haben.

Mit Blick auf das, was bis jetzt beim Synodalen Weg erreicht wurde, mit Blick auf die sich mantra-artig wiederholenden Schlagworte "Weltkirche" und "das muss Rom entscheiden", und bei allem Verständnis dafür, dass es wichtig ist, die unterschiedlichen Positionen zu würdigen und nicht gegeneinander auszuspielen: Die Zeit für Veränderung der Kirche ist überreif. Nicht nur in Deutschland – auch am Amazonas und in Afrika, wo längst schon ausgebildete Laien Gemeinden leiten, wo Klerikalismus und Hierarchiedenken ebenso als Problem empfunden werden wie hierzulande, wo die kirchlichen Strukturen teils noch eklatanter als bei uns sexuellen und spirituellen Missbrauch ermöglichen.

Es wäre fatal, wenn das großartige Wort vom aggiornamento, von der Verheutigung der Kirche und ihrer Botschaft, konserviert würde als ein Begriff, der hauptsächlich mit einem Konzil in Verbindung gebracht wird, dessen letzte Zeugen in den kommenden Jahren aussterben werden.

Übrigens: Nur morsche Bäume, deren Wurzeln abgestorben sind und nicht mehr tief ragen, müssen um ihre Existenz fürchten, wenn an ihnen gerüttelt wird. Honi soit qui mal y pense…

Von Ricarda Menne

Die Autorin

Ricarda Menne ist Lehrerin für Englisch, Geschichte und katholische Religion. Außerdem ist sie in der Hochschulpastoral der Bergischen Universität Wuppertal tätig.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.